2009 GERHARD PROß "WAS BEI DEN MENSCHEN UNMÖGLICH IST..."

Liebe Freunde.

Normalerweise spricht man zu Beginn des Jahres über die Jahreslosung. So ist es recht ungewöhnlich, dass ich jetzt im November die Jahreslosung für diesen geistlichen Impuls aufgreife. Aber immer wenn ich an unser Treffen hier in Würzburg dachte, war dieses Wort in mir:

Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich.



Wir leben in einer Zeit, in der der Geist Gottes in kraftvoller Weise am Werk ist. Er überwindet Grenzen, die noch wenige Jahre zuvor undenkbar waren.



  • Übermorgen werden es 20 Jahre, dass die Mauer in Berlin gefallen ist

  • Der Geist Gottes wehte durch die Völker Europas und hat unüberwindlich scheinende Grenzen überwunden. Unvorstellbares ist geschehen: Systeme, die fest zementiert da standen, sind wie Dominosteine in atemberaubender Geschwindigkeit umgefallen.

Vor einigen Wochen hatte ich die Gelegenheit mit einer jungen Frau zu sprechen, die damals als 15 jährige bei den Montagsdemonstrationen in Leipzig an vorderster Linie mit dabei war. Bewegend hat sie davon gesprochen, wie am 9. Oktober ´89 in Leipzig beim Besuch Gorbatschows die Schulen bereits als Notlazaretts hergerichtet waren, Blutkonserven und Leichensäcke waren bereitgestellt. Die Volksarmee hatte sich in der Stadt positioniert. Und dennoch war die Stadt voller Menschen. Es hätte nur den berühmten kleinen Funken gebraucht und die Katastrophe hätte ihren Lauf genommen. Aber der Geist Gottes war mit seinem Frieden über der Stadt und hat Christen und Nichtchristen ergriffen. Christian Führer, Pfarrer an der Nikolaikirche in Leipzig, von der die Montagsdemonstrationen ausgingen, formuliert folgendermaßen: „Wenn je etwas die Bezeichnung Wunder verdient hat, dann dieser 9. Oktober 1989 in Leipzig“.

Den meisten von uns steht dieses Wunder der Einheit zwischen Ost und West, das wir selbst miterleben durften, noch sehr lebendig vor Augen.

Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich.“

Darüber wollen wir Gott die Ehre geben und IHM danken, auch heute, an diesem Tag.

Zu Beginn des heutigen Tages möchte ich noch an ein weiteres Eingreifen Gottes erinnern. Wenn ich an das Miteinander der geistlichen Bewegungen und Gemeinschaften denke, dann staune ich in ähnlicher Weise über die Bewegung des Geistes Gottes.

Vor einer Woche, am  31.10. haben wir in Ottmaring gefeiert, weil dort vor 10 Jahren der Startschuss für das Miteinander gegeben wurde. Mit dem berühmten Satz von Chiara Lubich„Die Partitur wird im Himmel geschrieben“ wurde das Miteinander der geistlichen Gemeinschaften und Bewegungen geboren.

Seitdem erleben wir, wie der Geist Gottes die außergewöhnlich dynamische „Miteinander-Bewegung“ ins Leben gerufen hat. Takt für Takt dieser himmlischen Partitur durften wir erkennen. Grenzen wurden überwunden, Wir haben zueinander gefunden. Gemeinschaften sind sich begegnet, die noch kurz zuvor nicht im Traum daran gedacht hätten, sich zu begegnen und gemeinsam die Einheit zu suchen. Mauern zwischen uns sind zerbrochen und Gräben wurden zugeschüttet.

Wenn wir zu Beginn dieses Tages innehalten und zurückblicken, dann dürfen wir voller Staunen feststellen: Überdeutlich können wir auch in unserem Miteinander die Führung Gottes und seine Handschrift erkennen. Wir dürfen Zeuge des Eingreifens Gottes sein. Wir als Verantwortliche haben uns immer wieder angeschaut und gestaunt über das atemberaubende Tempo, in dem uns der Heilige Geist zueinander und in das Miteinander für Europa geführt hat. „Gottes Taten gehen weiter“.

Einheit ist möglich – das haben wir erfahren und das bezeugen wir gern.

Doch wenn wir an die Einheit zwischen Ost und West in unserem Land denken, dann wird uns neben der großen Dankbarkeit auch mit Schmerzen bewusst, wie vieles im Vollzug schief gelaufen ist. All zu rasch hat sich gezeigt, dass das keine Einheit von gleichberechtigten Partnern war, sondern dass der eine Teil in den anderen hinein aufgelöst wurde. Es ist hier nicht der Ort, über all das nachzudenken, was schief gelaufen ist, aber die Wunden wirken nach bis heute.

Wenn wir an die Einheit des Volkes Gottes denken, dann leiten uns andere Bilder, als dass der eine den anderen verschluckt. Ich bin dankbar, dass uns der Geist Gottes von Anfang an anders geführt hat im Miteinander.

Uns haben fünf Kernsätze von Anfang an geleitet:

  1. Jesus in der Mitte. ER ist unsere Einheit, ER ist das Haupt der einen Kirche Jesu Christi

  2. Vergebung und Versöhnung war eine der Schlüsselerfahrungen am beginn des Miteinanders

  3. Die Liebe. „Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt“ Joh. 14,35. An der Liebe wird man die Jünger Jesu erkennen, nicht an der Dogmatik, so wichtig die Formulierung des Glaubens auch ist. Das damals am 8.12.01 in München geschlossene Bündnis der Liebe haben wir seitdem immer wieder erneuert und dieses Band der Liebe ist es, das uns zusammen hält.

  4. Das Wort Gottes. Das Wort Gottes ist die Grundlage unseres Glaubens. Ihm sind wir verpflichtet und das Wort Gottes leitet uns.

  5. Alles zur Ehre Gottes. Es kommt nicht darauf an, dass die Gemeinschaften groß rauskommen, sondern es geht uns um die Ehre Gottes. Dabei brauchen wir uns nicht verstecken. Ich als pietistisch geprägter Christ musste lernen, eine falsche Bescheidenheit aufzugeben und den Satz aus der Bergpredigt, den Chiara immer wieder betonte ernst zu nehmen: „Lasset euer Licht leuchten vor den Leuten, damit sie eure guten Werke sehen und den Vater im Himmel preisen“ (Mt. 5,16)

Das Thema des 1. Kongresses wurde für uns geradezu ein Schlüssel: „Reichtum entdecken“. Jede Bewegung ist ein Ausdruck der Gnade Gottes, jeder Gemeinschaft ist ein Charisma, eine Gnadengabe geschenkt. Statt kritischer Be- oder gar Verurteilung haben wir uns auf eine Entdeckungsreise begeben, die Gabe und Gnade Gottes im anderen zu suchen. Dies wurde für uns geradezu zu einem der Schlüssel der Einheit.

Es ging uns nie um einen Einheitsbrei, nie um eine symbiotische Verschmelzung der Gemeinschaften, sondern um das Eins-Sein der Verschiedenartigen (s. z. B. die hervorragenden Referate beim Kongress 2007 von Br. Franziskus, Sr. Anna-Maria und P. Lothar Penners).

Vereint durch den Heiligen Geist mit Jesus in der Mitte, verbunden durch das Band der Liebe, konnten wir das andere, auch  das Fremdartige und Missverständliche stehen lassen. Einheit in versöhnter Vielfalt.

So wird für uns das Miteinander zu einem Zeichen der Hoffnung für das Ganze Volk Gottes.

20 Jahre nach dem Mauerfall, und damit auch nach dem Fall des Kommunismus, haben wir gesehen, wie durch die Bankenkrise der Kapitalismus beinahe auch gefallen wäre. Natürlich hat das viele von uns bewegt, weil damit auch unsere wirtschaftliche Basis ins Wanken kommt. Aber sind wir als geistliche Gemeinschaften und Bewegungen nicht geradezu aufgerufen, in anderer Weise umzugehen mit dem Geld und damit Zeichen der Hoffnung zu setzen in unsere Gesellschaft?

„Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich“ Dieser Satz Jesu ist sein abschließender Kommentar in der Geschichte des Reichen Jünglings und damit auch zum Umgang mit den Finanzen.

Zeichen der Hoffnung leben unter uns, in Bezug auf das Geld, auf den Umgang mit den Armen, aber auch im Bereich Ehe und Familie, in der Frage nach dem Leben, nach der Zukunft der jungen Generation usw. Ich bin gespannt, wie viele dieser Zeichen der Hoffnung unter uns sichtbar werden an diesem Tag.

Unter uns lebt die Vision, dass diese Zeichen der Hoffnung und auch die Orte der Hoffnung die Kraft haben, unsere Gesellschaft mit zu gestalten. Die Freunde aus Europa, die diesen Tag mit uns gestalten sind ein Zeichen dafür, dass ein anderes Europa möglich ist, ein Miteinander in und für Europa.

Auch bei Europa geht es darum, dass nicht der eine den anderen dominiert oder verschlingt, sondern dass die von Gott geschenkte Vielfalt in Europa in Einheit und Frieden zusammen wirken kann.

Einheit ist möglich. Das haben wir im Miteinander erfahren. Und doch leiden wir an manchen Punkten, in denen die Einheit noch nicht möglich ist. Vor meinem inneren Auge leuchtet in meinen persönlichen Gebetszeiten immer wieder das Symbol des Abendmahlkelches auf.

Das bestärkt mich darin, nicht nachzulassen, für die Einheit zu beten, zu hoffen, zu glauben und zu arbeiten. Eine Einheit, die bei allen gottgewollten Unterschieden doch ermöglicht. dass wir gemeinsam um den Tisch des Herrn versammelt sind. Noch sind wir nicht soweit. Noch verhindern unterschiedliche Auffassungen und Denkmuster diese Einheit.  Im ökumenischen Prozess der letzten 40 Jahre ist großartiges möglich geworden, u. a. die gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigung. Wenn es jetzt neue Hindernisse gibt, dann ist unser Engagement desto wichtiger.

Wir wollen nichts erzwingen, aber wir haben etwas einzubringen in den ökumenischen Prozess: die Erfahrung der geistlichen Ökumene mit den dazu gehörenden Haltungen und Schlüsselerfahrungen.

Wie die Montagsdemonstrationen vor 20 Jahren den Boden bereitet haben für die Wende, so können wir als geistliche Gemeinschaften und viele weitere Christen mit uns durch unser Haltung und durch unseren Einsatz den Boden bereiten für das Eins-Werden des ganzen Volkes Gottes. Wir können Wegbereiter sein und wollen deshalb auch an diesem Tag ein Zeichen setzten, ein Zeichen der Hoffnung.

Dabei setzen wir unsere Hoffnung ganz auf IHN: ER, Jesus, ist die Wahrheit schlechthin, hinter all unseren subjektiven Wahrheiten den Überzeugungen und Richtigkeiten der Konfessionen. Jesus Christus ist der Weg, die Wahrheit und das Leben.ER hat die Mauern zwischen Ost und West eingerissen. Er hat vor den Mauern des Kremls nicht Halt gemacht und wird auch vor den Mauern der Konfessionen keinen Halt machen.

Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich.

Das haben wir erfahren vor 20 Jahren beim Mauerfall und in den 10 Jahren des Miteinanders. Dafür wollen wir IHM die Ehre geben und deshalb diesen Tag beginnen mit einem dankbaren Herzen und dem Lob Gottes für alles, was ER getan hat.